Der Geduldsfaden wird immer kürzer
Heute hat das Warten etwas Quälendes, Nervendes, mitunter Aggressives. Nichts geht schnell genug, alles muss sofort und gleich sein, wir haben keine Zeit mehr. Scheinbar für nichts. Drei Beispiele: Wenn an der Kasse zwei Kunden ihre Einkäufe auflegen, ruft der Dritte im Befehlston: „Machen Sie bitte eine weitere Kasse auf!“ In Ruhe rückwärts einparken? Keine Chance! Der dicht auffahrende Hintermann setzt Lichthupe und Warnsignal rigoros ein und brüllt im Vorbeifahren lauter unanständiges Zeug. Die Oma von nebenan zahlt in der Bäckerei an der Ecke mit Münzen – eine Katastrophe! Kann die Alte die Semmeln nicht einfach kontaktlos mit ihrer EC-Karte bezahlen und das Feld räumen? Und wieso kauft die überhaupt gerade JETZT ein? Ich muss zur Arbeit …
Apropos Arbeit: Die neue Ungeduld wohnt vor allem im Büro! Sie hat sich dort prima eingenistet, wächst wie Efeu in alle Abteilungen hinein – und verändert damit die Kommunikationskultur. Zum Schlechteren, versteht sich. „Hast Du die Mail schon gelesen, die ich Dir vor 45 Sekunden geschickt habe?“, fragt der Kollege vorwurfsvoll ins Telefon oder durch die Tür. Ein Paradebeispiel aus meinem beruflichen Alltag. Die notorische Ungeduld beeinträchtigt zudem die Qualität von Entscheidungen. Wer immer sofort Antworten geben muss, hat keine Zeit zum Nachdenken und Reflektieren. Mal eine Nacht drüber schlafen – geht nicht. Das System braucht die Entscheidung unbedingt JETZT!
Gute Entscheidungen brauchen Zeit
Wenn ich in einen Zustand der Ungeduld gerate, gönne ich mir einige tiefe Atemzüge – dreimal bewusst ein- und ausatmen, das hilft gegen die Anspannung und den Druck, den man sich selber macht. In der Beratung reagiere ich auf die Bitte nach einer Handlungsempfehlung oft mit dem Hinweis, dass ich über dies und das noch nachdenken und mich dazu mit meinem Team austauschen möchte. Das irritiert manche Gesprächspartner – böse war mir indes noch keiner. Denn trotz aller Erfahrungen habe auch ich nicht auf alles sofort eine Antwort parat.
Wir müssen wieder lernen, uns Zeit zu nehmen und uns gemeinsam gegen diesen scheinbar übermächtigen Sofortismus stellen. In einer dynamischen und agilen Unternehmenswelt hilft uns Geduld dabei, reifere und klügere Entscheidungen zu treffen – und so noch erfolgreicher und zufriedener zu arbeiten.